Das Alien (Off-Trek)
Ich saß grad im Sessel und schaute so fern
Ne langweilige Doku über die Schweizer Stadt Bern
Als plötzlich ein Schimmern das Zimmer erhellte
Und die sengende Hitze die Decke wellte.
Da stand doch plötzlich ein grünes Alien im Raum
Schlief ich schon und hatte nen Traum?
Nein, ich war wach und verschüttete das Bier
Und dachte – scheiße – dieser Freak ist wirklich hier.
Er schlenderte zum Kühlschrank und griff hinein
Nahm Weintrauben, Käse und den teuren Wein
Auch der Pudding schien ihm gut zu schmecken
Mit Erstaunen sah ich ihn an dem Löffel lecken
Mir blieben die Worte im Halse stecken
Ich überlegte kurz mich zu verstecken
Doch offenbar war das Alien mir freundlich gesonnen
Vielleicht hatte ich grad einen Freund gewonnen?
So ein Alien von einem fernem Stern
Das wäre schon cool, wer hätt den nicht gern?
Und so ein Trip mit nem Ufo durchs All
Ihr denkt jetzt bestimmt ich hätte nen Knall …
Ich stand jedenfalls noch immer da
Und starrte wie blöde – is doch klar
Auf das plündernde Alien da vor mir
Und wünschte mir sehnlichst ein neues Bier
Ich weiß nicht mehr wie lange ich guckte
Und vermutlich nicht mal mit der Wimper zuckte
Jedenfalls griff es dann zur Tupperdose
Und ich machte mir fast in die Hose
Der wollte doch nicht …? das konnte nicht sein!
Der packte sich tatsächlich die Reste ein!
Dann winkte er mit seiner grünen Hand
Lächelte, blinzelte – und verschwand.
Ich blieb noch eine Weile stehen
Ich gebe zu, ich konnte nicht gehen
Schließlich setzte ich mich doch
Und fiel seelisch in ein schwarzes Loch.
Dann fiel mein Blick auf die Flasche Bier
Ich betete: „Herrgott ich danke dir!
Für diese Hallu – na du weißt schon wofür!“
Das war garantiert mein letztes Bier!
Melanie Brosowski / 2011
Typisch Star Trek
oder: Eine Folge in Kürze
Die Kiste läuft, der Vorspann flimmert,
die hohe Frauenstimme wimmert.
Die Enterprise, die hängt am Faden
Spezialeffekte ohne Gnaden.
Alle Aliens ähneln Menschen sehr
Felsen aus Pappe, Kleister, Farbe und mehr
Die Frauen haben wenig an
Ein Salzstreuer als Scanner – oh Mann!
Nach zehn Minuten – Kirks erster Kuss
Der Nervengriff – auch das ein Muss
Ne Weltraumschlacht mal schnell geschlagen
„Faszinierend“, würde Spock wohl sagen.
Der Erste stirbt durch Feindeshand
Zwei weitere durch einen Brand
Beim Beamen stirbt der vierte Mann
Was für Hemden hatten die wohl an?
McCoy erklärt in Georgia Art
„Ich bin Arzt, nicht Weltraum-Pirat.“
Die Maschinenwunder vollbringt der Schotte Scott
Und Sulu verteidigt die Enterprise fechtend wie ein junger Gott.
Nach 50 Minuten, das All gerettet,
Kirk ist der Held – hätt ich nie drauf gewettet!
Werbung, Abspann – es ist soweit:
Bis nächste Woche, zur selben Zeit.
Und die Moral von der Geschicht?
Alles wird anders, nur Star Trek nicht
Melanie Brosowski / 2011
Rote Hemden sind tote Hemden
Zehn Crew-Mitglieder mit roten Hemden
Was stellt ihr euch vor, wie die wohl enden?
Zehn neue Crewmitglieder,
Kirk verpflichtet jedes Jahr welche wieder,
drehten ihre Runden auf dem Schiff,
als einer von ihnen die Flucht ergriff.
Er hatte gehört vom Schicksal der roten Hemden
Und niemals wollte er so grausam enden.
Übrig blieben neun Crewmitglieder.
Plötzlich sank der eine nieder,
und starb auf dem Deck an Stelle und Ort,
ohne Klagen, ohne ein Wort.
Für Kirk vorgekostet hatte er,
Diesen Fehler macht wohl niemand mehr.
Acht Crewmitgliedern wurde beigebracht,
sich zu nehmen doch in Acht,
sollte jemand auf sie zielen,
nicht den Helden noch zu spielen.
Einer dachte, er könnte bei dieser Lektion ne ruhige Kugel schieben,
kurz danach waren es nur noch sieben.
Sieben Crewmitglieder mit Null Bock,
ärgerten Commander Spock.
Mit nem Nackengriff setzte er einen außer Gefecht,
Sein unbeabsichtigter Tod dabei war leider echt.
Sechs Crewmitglieder gierten nach Abenteuern,
einer von ihnen ließ sich tatsächlich anheuern,
von Sektion 31 als Spion,
er verschwand auf einer Außenmission.
Auf fünf Crewmen dezimiert,
lief drei Wochen lang alles wie geschmiert,
Beim Landurlaub auf einem Planeten,
wollten sie sich die Beine vertreten.
Und landeten in einer Kneipe beim Bier,
Der eine, der vertrug es nicht, da waren’s nur noch vier.
Von den vieren gehörte einer zur Delta-Gruppe,
sie bildeten eine angreifende Sturmtruppe.
Und rannten direkt in eine Falle
Aus der Sturmtruppe starben alle.
Scotty beamte fluchend die letzten drei Mann
Der Transporter versagte, nur zwei kamen an.
Von den zweien kam einer beim Rematerialisieren um,
es ist ja auch schon wirklich dumm,
rematerialisiert man in einem Stein.
Das geht wirklich durch Mark und Bein.
Da steht er nun so ganz verlassen
Und beginnt sein Dasein fürchterlich zu hassen.
Er ist der letzten von zehn roten Hemden
Und erkennt ganz plötzlich mit Befremden,
Dass fast alle Crewman sind verbraucht
Viele von ihnen als Kanonenfutter missbraucht.
Doch Starfleet liefert sicherlich neue,
mit Mut, roten Hemden und tödlicher Gefolgschaftstreue.
Melanie Brosowski / 2011
Helau! Helau! Und „Star Trek“ Alaaf!
Einmal im Jahr ist Narrenzeit
Auch auf der Enterprise ist man lustig und breit
Scotty hängt über der Reling des Maschinenraums
Und kotzt in die Überreste eines Weihnachtsbaums
Helau! Helau! Und „Star Trek“ Alaaf!
McCoy verteilt die Aufputschmittel
Im Cowboykostüm statt im Kittel
Kirk denkt heut noch nicht an Katzenjammer
Und verdrückt sich mit Chapel in die Besenkammer
Helau! Helau! Und „Star Trek“ Alaaf!
Das Kosakenkostüm kann nur einer tragen
Das ließ Chekov sich nicht zweimal sagen
Verwegen sieht er aus mit Pelzhut und Bart
Und hat gleich alle Rothemden um sich geschart
Helau! Helau! Und „Star Trek“ Alaaf!
Uhura tanzt nackt, wie Gott sie schuf
Wer kümmert sich hier schon um seinen Ruf?
Sulu lässt den Säbel klirren
Während drei Gläser Ale seine Sinne verwirren
Helau! Helau! Und Star Trek Alaaf!
Einzig Spock, der Waldschrat, der Grüne
Fehlt auf unserer Karnevalsbühne
Doch ohne Humor hat er hier verloren
Dabei hätten sie gut gepasst, seine Ohren
Zum Teufelsrock mit Forke und Schwanz
Und Hörner! – Die machen die Verkleidung ganz.
Doch Spock zog es vor, im Quartier zu bleiben
Und still und leise vor sich hin zu leiden
Er findet die Menschen zu primitiv,
emotional, laut und naiv…
Doch einmal im Jahr muss Fasching sein
Für Borgs und Trills, für Groß und für Klein!
Drum lasst heut die Sau raus!
Seid lustig statt brav!
Helau! Helau! Und „Star Trek“ Alaaf!
Melanie Brosowski
Qs Weihnachtserlebnis
Frei nach Theodor Storm
Von drauß‘ vom Weltall komm ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Denn wisst ihr, was ich gestern gesehn,
im Delta-Quadranten, bei Riegel 10?
Den Kirk mit seiner Enterprise,
blankgeputzt, poliert und schneeweiß!
Und hinter sich im Traktorstrahl
– es warn genau elf an der Zahl -;
Tannenbäume, schon fertig geschmückt.
Ich war wirklich sehr entzückt,
vom Anblick, der sich mir bot,
Kugeln und Lametta in Silber und rot …
Im Schiffsinnern roch es nach Feuer und Zimt.
Ich wusste sofort, dass da was nicht stimmt.
Rußgeschwärzt die Wände des Maschinenraums,
auf dem Boden Reste eines verkohlten Tannenbaums.
Daneben, völlig verwirrt und verstört
und froh, dass niemand sein Fluchen gehört,
saß Scotty mit zwei Promille im Blut,
die Haare versengt von heißer Glut.
An Bord beamen wollte er den ersten Baum
nach Deck 13 zum großen Mannschaftsraum
zur Freude des Captains und der Crew –
Doch da war er bereits mit dem Whisky per Du.
Er vertippte sich bei den Koordinaten
und so landete der Baum im Weihnachtsbraten.
Schnell bemerkte der Schotte sein Missgeschick
und holte das gute Stück zurück.
Doch auch diesmal war das Ziel sehr fern:
Gänsebrust und Baum materialisierten im Warpkern.
Es krachte, zischte und begann zu stinken
Scotty ließ sich auf den Boden sinken
Ein grüner Zweig landete auf seinem Kopf
Und neben ihm scheppernd ein Stück vom Topf.
Ich drehte mich um und wollte gehen,
doch da hatte Kirk mich schon gesehen.
Und wie ich so starrte auf den finsteren Mann
rief er mich mit heller Stimme an:
„Q!“, rief er, „Du alter Gesell!
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Du hast garantiert damit was am Hut!“
In seiner Stimme hörte ich Wut.
Beleidigt zog ich mich zurück
und dieser Mensch hatte wirklich Glück,
dass es einer meiner guten Tage war;
einer von wenigen in diesem Jahr.
Doch gefallen ließ ich mir das nicht!
Und schwups! War er weg – der Wicht!
Wo er nun ist, das wüsstet ihr gern?!
Weit weg auf einem fernen Stern.
Dem Tribble-Planeten, um genau zu sein
– ihr kennt doch die Tierchen, niedlich und klein? –
Jedenfalls, die Enterprise, vom Captain verlassen,
– ich werd nie verstehn, warum Menschen mich hassen –
brach auf zur „Suche nach Jim“-Mission –
mit Halt an jeder Raumstation.
Tja, was soll ich noch sagen, Leute?
Wenn sie ihn nicht gefunden haben,
dann suchen sie ihn noch heute.
Melanie Brosowski 12/2010
Kirks Weihnachtsreise
Von draus vom All da komm ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Sternenspitzen
sah ich goldne Lichtlein blitzen.
Und jedes Schiff, das ich erspähte im Raum
hatte im Traktorstrahl ’nen Tannenbaum.
Selbst die Klingonen flogen nicht ohne
auf ihrem Kurs Richtung Neutrale Zone.
Auf dem Promenadendeck von DS9
deckte ich mich mit Geschenken ein.
In den Gängen ertönten Uhuras Lieder
„Merry Christmas“ und „Alle Jahre wieder“.
Die Unlogik von diesem Fest
Gab Spock den allerletzten Rest.
Er sperrte sich ein in sein Quartier –
Und redet wohl den Rest der Reise nicht mit mir.
Die Enterprise auf dem Weg nach Haus –
Zu Familie, Hund und Festtagsschmaus
Melanie Brosowski 12/2005
Der Tannenbaumdieb
Ach ja, jetzt ist es wieder mal so weit
Wie jedes Jahr zur gleichen Zeit
Bald ist es da, das Weihnachtsfest
Ja, das gibt Kirk den letzten Rest.
Geschenke muss er noch besorgen
Allerspätestens – verdammt! – bis morgen.
Was könnte man McCoy denn schenken?
Nach dem 3. Bier beginnt Kirk zu denken.
Romulanisches Ale, das schreckliche Gebräu?
Oder ein Holobild von Lwaxana Troi?
Oder Strapse zum heimlich Tragen?
Gut, nur nach der Größe müsste er noch fragen.
Und Spock, was könnte er bekommen?
Das 6. Bier macht Kirk ein wenig benommen.
Ein bisschen Menschlichkeit wäre nicht schlecht,
dann hätte der Captain auch mal Recht.
Oder Badeperlen und eine gelbe Ente
Nach dem 9. Bier denkt Jim an seine Rente.
Geschenke besorgen ist schon schwer
Und außerdem muss noch was andres her.
Die Tanne, ja die fehlt ihm noch,
die vom letzten Jahr verschwand in nem schwarzen Loch.
Also Kurs auf die Neutrale Zone
Die Direktiven interessieren Kirk jetzt nicht Bohne.
Er braucht einen Baum, noch heute
Dafür opfert er gerne ein paar Leute.
Kurz eine Weltraumschlacht geschlagen,
das Bier schlägt Kirk langsam auf den Magen.
Stunden später gleitet die Enterprise durch den Raum,
im Traktorstrahl nen Tannenbaum.
Und dann ist es auch soweit
Auf dem ganzen Schiff herrscht Ausgelassenheit.
Der Alkohol, der fließt in Mengen,
da beginnt der Tannenbaum zu sengen.
Es riecht verbrannt und qualmt dann auch,
Scott sucht verzweifelt nach dem Wasserschlauch.
Die Sprinkleranlage tut ihre Pflicht,
Kurz darauf verlöscht das Licht.
Die Feier fällt ins kalte Nass
Und macht trotzdem jedem Spaß.
Männlein und Weiblein zusammen im Dunkeln
Da passiert mehr als leises Munkeln
Weihnacht ist das Fest der Liebe
Und der fiesen Tannenbaumdiebe.
Melanie Brosowski 12/2004
Christmas Hell
Eine kurze Weihnachtsgeschichte
Verzweifelt jagte McCoy eine weitere Injektion direkt in das Herz seines Patienten und warf einen Blick auf den Monitor. Doch auch dieses Medikament zeigte keine Wirkung.
„Verdammt!“
Während er weiterhin eine manuelle Herzdruckmassage durchführte, rasten seine Gedanken.
„Doktor?“ Die Stimme von Christine Chapel drang kaum zu ihm durch, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich weitere Maßnahmen einfallen zu lassen, die das Leben des Jungen retten konnten.
„Doktor McCoy!“ Die Schwester berührte ihn am Arm und endlich sah er sie an, obwohl sein Blick in Wirklichkeit durch sie hindurchging. „Sie haben alles getan, was Sie konnten. Hören Sie auf! Seine Gehirn…“ Sie ließ den Satz unbeendet.
Seit mehr als zwei Stunden bemühten sie sich nun schon um Joe Scardiff, aber der Blutverlust war einfach zu hoch.
Mitten in der Bewegung hielt McCoy inne und ließ erschöpft und besiegt die Arme sinken. Er wusste, dass sie Recht hatte, dass sie im Grunde versucht hatten, einen Toten zurück ins Leben zu rufen.
Als sie den Schmerz in seinen Augen sah, blickte sie zur Seite.
„Notieren Sie den Zeitpunkt des Todes. Ich werde eine Nachricht an den Captain schicken!“ Damit wandte er sich ab und wusch sich das Blut von den Händen.
McCoy starrte hinaus ins All. Noch nie in seinem Leben war es ihm so groß und unendlich − und leer vorgekommen. Er holte tief Luft, doch irgendetwas schien seinen Brustkorb einzuschnüren.
„Verdammt!“ Wütend über seine Hilflosigkeit, sein Versagen, schlug er die Faust gegen die Wand. Der Schmerz vertrieb für einige Augenblicke seine Schuldgefühle.
Er war lange genug Arzt, um zu wissen, dass er nicht immer gewinnen konnte. Aber noch nie war ihm ein Tod so sinnlos vorgekommen. Es gab bessere Arten zu sterben; indem man sein Leben für einen Freund gab, für das Schiff, für … irgendetwas. Hinter ihm öffneten sich leise zischend die Türen des Aussichtsdecks. „Hier steckst du also!“ Kirks Stimme klang nicht halb so fröhlich, wie sie hatte sein sollen.
Er seufzte, als McCoy nur den Kopf wandte und ihn mit traurigen Augen ansah. Mit drei großen Schritten war er bei dem Schiffsarzt und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. „Pille!“
„Lass gut sein, Jim!“
Kirk seufzte. „Willst du nicht aufs Freizeitdeck kommen? Ein bisschen Ablenkung würde dir vielleicht ganz gut tun! Und es ist schließlich nur einmal im Jahr Weihnachten.“
„Nein. Ich … würde lieber noch eine Weile allein sein.“
Kirk holte tief Luft, um ihm zu widersprechen, ließ es dann aber doch. Er wusste, dass es momentan nichts gab, was seinem Freund helfen würde. „In Ordnung, Pille. Ich werde es den anderen morgen sagen.“ Es würde keine leichte Aufgabe werden, das wusste er jetzt schon. Das war es nie und würde es auch nie werden, so oft er auch diese leidige Pflicht erfüllen musste.
McCoy war erleichtert, als er wieder alleine war.
Aber es dauerte nicht lange, bis sich die Türen erneut öffneten. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Spock hereingekommen war, er kannte dessen Schritte zu genau.
In einiger Entfernung blieb der Vulkanier respektvoll stehen und legte seine Hände auf den Rücken. „Ich bedaure, Joe Scardiff nicht besser gekannt zu haben, aber ich bin sicher, dass er eines Tages ein guter Offizier geworden wäre. Und ich weiß, dass Sie alles versucht haben, um ihn zu retten.“
Der Arzt wusste seine Anteilnahme zu schätzen. „Danke, Spock.“
Der Vulkanier wartete einige Augenblicke, ob McCoy noch etwas sagen würde. Aber als die Stille zu bedrückend wurde, entfernte er sich wieder.
Als McCoy einige Stunden später sein Quartier betrat, lag ein kleines, liebevoll verpacktes Geschenk auf seinem Schreibtisch. Erst nachdem er eine halbe Flasche Bourbon geleert hatte, war ihm danach, es auszupacken. Es war ein altes Stethoskop, wie es die Ärzte vor langer Zeit benutzt hatten. Damals, als die Medizin noch eine hohe Kunst gewesen war, fast primitiv. Er nahm die kleine Karte und las. „Für den besten Arzt, den die Enterprise je haben wird.“
Leonard grinste schief. Er wusste sofort, von wem dieses Geschenk stammte, auch wenn die Karte nicht unterschrieben war. Nur eine Person auf diesem Schiff würde ein solches Geschenk wählen. Und er? Er selbst hatte ganz vergessen, für sie etwas zu besorgen.
Ein weiteres Versagen seinerseits. Jetzt enttäuschte er schon die wenigen Freunde, die er besaß. Er seufzte und plötzlich standen Tränen in seinen Augen. Fahrig wischte er sie weg, zog seine Stiefel aus und wankte zum Bett. Dass er dabei die Flasche umstieß und diese auf dem Boden zerbrach, bekam er gar nicht mehr mit.
Es war weit nach Mitternacht, als Lieutenant Cartwright die Krankenstation betrat. Sie hatte noch nicht von Scardiffs Tod gehört und das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, als Schwester Chapel ihr davon berichtete. Eigentlich hatte sie mit McCoy noch kurz auf die Weihnachtsfeier gehen und etwas essen wollen. Jetzt war sie am Zögern. Sollte sie zu ihm gehen oder ihn lieber in Ruhe lassen?
Schließlich entschied sie sich dazu, zumindest kurz bei ihm vorbeizuschauen. Im Laufe der zwei Jahre, die sie nun schon als Historikerin auf dem Schiff war, hatten sie sich angefreundet. Sie mochte ihn, seine mitfühlende Art, sein Lachen, seinen Akzent − aber es war nie mehr gewesen als eine Freundschaft. Nicht von ihrer und nicht von seiner Seite aus. Dafür waren sie beide von ihren letzten Beziehungen zu sehr verletzt.
Zögerlich betrat sie sein Quartier. Es stank penetrant nach Alkohol. Das Licht brannte noch. McCoy jedoch schlief tief und fest. Das Schlachtfeld auf dem Tisch verriet ihr, wie es in seinem Inneren aussah, und sie war dankbar dafür, in diesem Moment nicht mit ihm reden zu müssen. Nichts, was sie gesagt hätte, würde Joe Scardiff wieder zurückbringen. Tröstende Worte − aber doch noch nur leere Worte.
Sie stellte seine Stiefel zur Seite, hob die Scherben auf, löschte das Licht und wandte sich wieder zum Gehen.
„Bitte bleib!“
Sie blieb stehen, unschlüssig. Dann drehte sie sich um und ging zurück zum Bett. Zum Glück konnte McCoy im Dunkeln nicht ihr Gesicht sehen und die Verwirrung und Angst, die darin stand.
Sie hörte, wie er sich bewegte; zur Seite rutschte und darauf wartete, dass sie zu ihm ins Bett kam. Es war der Augenblick, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte. Es lag an ihr, ob sie zuließ, dass aus der Freundschaft eine Beziehung wurde oder nicht.
Sie legte sich neben ihn, ihren Kopf auf seine Schulter und eine Hand auf sein schlagendes Herz. Mehr nicht.
Scardiff musste es schlimm gegangen sein, so schlimm, dass er es anscheinend nicht mehr hatte aushalten können und sich das Leben genommen hatte, anstatt Hilfe zu suchen; so unerträglich, dass er sich, während sich der Großteil der Besatzung auf der kleinen Weihnachtsfeier befunden hatte, in sein Quartier gegangen, einen Abschiedsbrief geschrieben und sich dann die Pulsadern aufgeschnitten hatte.
Es war nicht McCoys Schuld, es war niemandes Schuld. Niemand, nicht einmal die besten Psychologen, konnten so eine Tat voraussagen.
Sie blieb die ganze Nacht an seiner Seite und lauschte seinem gleichmäßigen Atem.
Ihre Nähe beruhigte ihn, er fühlte sich nicht mehr ganz so verloren. Zärtlich legte er seine Linke auf ihre Hand und rechnete fast damit, dass sie zurückzuckte. Doch nichts dergleichen geschah. Betört vom süßen Vanille-Duft ihrer Haare schlief er wieder ein.
Ihre innere Uhr weckte sie um kurz vor sechs. Ohne McCoy zu wecken, stand sie leise auf und verließ sein Quartier, in der Hoffnung, dass niemand sie sah. Sie musste sich beeilen, wenn sie nach dem Duschen in der Messe noch etwas essen wollte − ansonsten würde sie zu spät zum täglichen Training mit Spock kommen.
Der Erste Offizier erwartete sie bereits mit hochgezogener Augenbraue. Sie nahm wortlos den Kampfstab entgegen, stellte sich in Position und verbeugte sich. Und genau in diesem Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, dass die Routine an Bord der Enterprise trotz Joe Scardiffs Tod weiterging, so als wäre nichts geschehen.
Für die Eltern des Crewman war eine Welt zusammengebrochen. Ihr einziger Sohn war tot, sinnlos gestorben, Lichtjahre von der Erde, von zu Hause entfernt. Aber letztendlich würde sich außer dem Dienstplan und der Quartierbelegung nichts ändern, das Universum würde weiterhin bestehen.
Sie war so in Gedanken versunken, dass sie Spocks Hieb zu spät auswich. Mit voller Wucht prallte der Stab gegen ihre Schläfe und beförderte sie in die Dunkelheit.
Eine Welle der Übelkeit begleitete die Kopfschmerzen, mit denen sie kurz darauf wieder zu sich kam. Sie befand sich auf der Krankenstation und erblickte als Erstes McCoy, der sich gerade über sie beugte. Allzu lange konnte sie hier also noch nicht liegen.
McCoy warf Spock einen wütend-vorwurfsvollen Blick zu. „Kommen Sie später wieder, um sich bei ihr zu entschuldigen!“
Der Erste Offizier schien etwas erwidern zu wollen, presste jedoch schließlich nur die Lippen zusammen und wandte sich mit einem Nicken zum Gehen.
„Es war meine Schuld! Ich war unaufmerksam.“
Doch der Arzt schüttelte den Kopf. „Wenn dieser grünblütige Waldschrat nicht so hart zugeschlagen hätte, würdest du jetzt nicht hier mit einer Platzwunde und einer Gehirnerschütterung liegen. Er hätte dich auch töten können!“
„Glaub mir, es gibt Schlimmeres als den Tod, Leonard!“
Zweifelnd sah er sie an. Als Arzt konnte er ihr nur widersprechen, zugleich jedoch wusste er, dass sie Recht hatte. Jeder Mensch hatte irgendwie seine persönliche Hölle auf Erden. Er hatte sie erlebt, als er die lebenserhaltenden Maschinen seines Vaters abgestellt hatte − und wenige Monate später war ein Heilmittel vorhanden gewesen.
Zögernd setzte er sich auf die Bettkante und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn.
Er kannte ihre Hölle nicht, aber die Narben auf ihrem Körper waren sicherlich weitaus weniger schlimm als die dazugehörigen ihrer Seele.
Es gab nur wenig, was einen Menschen so sehr prägte, dass der Tod ihm keine Angst machte. Und nur Gott wusste, welche Hölle Joe Scardiff durchgemacht hatte.
Und endlich verstand er. Er gab sich einen Ruck, umfasste mit seinen Händen zärtlich ihr Gesicht und küsste sie. Er würde sich keine zweite Hölle schaffen, indem er seine wahren Gefühle verleugnete aus Angst, sie würde sie nicht erwidern…
Melanie Brosowski 12/2009
Lonely Christmas
Eine „Star Trek“-Weihnachtsgeschichte
Mary Cartwright war die Letzte, die sich vom Planeten Rivas IV an Bord der Enterprise beamen ließ. Sie war voll bepackt mit Geschenken und wäre fast die Stufen der Transporterplattform hinuntergestolpert, wenn Scotty sie nicht rechtzeitig gestützt hätte.
„Danke, Scotty!“
Der Schotte grinste. „Ich hoffe, Sie haben eine gute Ausrede für Ihre Verspätung!“ Cartwright blickte über den obersten Karton hinweg den Chefingenieur fragend an: „Spock?“ − „Nein“, entgegnete Scotty und verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Captain!“
„Mist.“ Sie trat an Scott vorbei, machte zwei Schritte vorwärts − und stieß mit Spock zusammen. Der oberste Karton geriet ins Wanken und kippte schließlich um. Instinktiv versuchte Mary den Karton noch festzuhalten, aber es war bereits zu spät. Nicht nur, dass sie das fallende Geschenk nicht mehr auffangen konnte − sie hatte nunmehr auch alles andere fallen gelassen. Eine dunkelblaue Flüssigkeit ergoss sich über die Uniform des Vulkaniers. Der erste Offizier schloss die Augen und zog demonstrativ die Brauen hoch.
Inzwischen hatte sich der Inhalt der restlichen Karton auf dem Fußboden des Transporterraums verteilt. Auch ein großes Glas, das mit kleinen Kügelchen gefüllt war, war darunter gewesen. Natürlich hatte das Glas den Fall nicht überstanden und war in tausend Scherben zersprungen und die kleinen Kügelchen − es handelte sich übrigens um rigelanische Badeperlen für Uhura − lagen überall auf dem Boden.
„Tut mir Leid, ich…“ Weiter kam sie nicht, da sich die Tür öffnete und Captain James T. Kirk den Raum betrat. Das heißt, er wollte es, rutschte aber auf den Badeperlen aus und landete unsanft auf dem Allerwertesten. Unwillkürlich nahm Cartwright Haltung an und versuchte sämtlichen Blicken auszuweichen.
„Lieutenant Cartwright!“ Kirks Stimme verhieß nichts Gutes.
„Sir!“
„Was hat das Chaos hier zu bedeuten?“
„Das sind meine Weihnachtsgeschenke, Sir!“
„Ist das etwa auch der Grund für Ihre Verspätung?“
„Aye, Sir!“
Kirk blickte um sich. Im Transporterraum begann sich ein bestialischer Gestank zu verbreiten. Sulus Pflanzendünger, vermutete Mary. „In zehn Minuten will ich das Zeug hier nicht mehr sehen, haben Sie verstanden, Lieutenant?“ − „Aye, Sir!“
Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Captain daraufhin um und ging. Spock warf einen viel sagenden Blick auf das Chaos. „Ich denke, ich werde noch einmal den Dienstplan überarbeiten“, sagte er dann und ging ebenfalls. Cartwright atmete erleichtert aus und lehnte sich gegen die Transporterkonsole. „Scotty, bitte beam mich wieder auf den Planeten, ja? Oder irgendwo anders hin. Meinetwegen auch nach Romulus, aber bloß weit weg von hier!“ − „Ach…“ Der Schotte legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen!“
„Verdammt!“ Wütend warf Cartwright den leeren Karton in die Ecke. Zwei Stunden lang hatte sie versucht, von den Geschenken zu retten, was zu retten war. Jetzt schloss sie die Augen und ließ den Kopf an die Lehne des Sessels sinken. Aber die Schenkerei hatte sich ja sowieso mehr oder weniger erledigt. Spock hatte sie nach dem Vorfall nämlich dazu verdonnert, an den Weihnachtstagen Doppelschichten zu schieben. Die Weihnachtsfeier im Arboretum konnte sie also vergessen.
Langsam stand sie auf und replizierte sich eine Tasse heißen Kakao. In der Ecke ihres Quartiers stand eine Vase mit Tannenzweigen, an denen rote und blaue Kugeln hingen. McCoy hatte ihr das geschenkt, mit der Bemerkung, ihr Quartier sei kahler als dasjenige von Spock und außerdem fehle ein weihnachtliches Flair. Mary starrte auf rote Kugeln, in denen sich das Licht der Kerzen spiegelte. Auch ein kleiner Engel hing in den Zweigen. Cartwright kniete nieder und nahm ihn vorsichtig in die Hand. Die Figur hatte goldene Haare und zierliche, silberne Flügel.
„Störe ich?“ McCoys sanfte Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken. Beinahe hätte sie den Kakao verschüttet. „Nein, komm nur rein“, antwortete Cartwright und sah wieder auf den Engel. Der Arzt hockte sich neben sie und kräuselte die Stirn: „Alles in Ordnung?“
„Ja.“
„Jim hat mir erzählt, was vorhin passiert ist. Ich werde ein gutes Wort für dich einlegen.“
„Lass gut sein, Len. Es gibt Schlimmeres als an Weihnachten zu arbeiten.“
„So? Was denn?“
Stille füllte einige Minuten den Raum. Cartwright blickte wieder auf die rote Kugel. Sie nahm sie ab und drehte sie langsam in ihrer Hand. Kerzenlicht spiegelte sich auf der Oberfläche, erschien wie Flammen, die alles verbrannten. Ein Kälteschauer überlief Mary und es kam ihr vor, als läge Brandgeruch in der Luft und der Gestank nach Verwesung.
„Wenn man zum Beispiel am Heiligen Abend nicht genug zu essen hat, um satt zu werden. Wenn man friert und gerade irgendwo in einem Loch Freunde begraben musste. Wenn man nicht weiß, ob man je wieder nach Hause kommt, zu seiner Familie, zu seinen Freunden. Wenn man nicht einmal weiß, ob man den nächsten Tag überlebt. Wenn man…“ Die Stimme versagte ihr und Tränen rannen über ihre Wangen. Unbewusst schloss sie die Hand und die Christbaumkugel zerbrach.
„Vorsicht!“ Doch es war bereits zu spät. Blut tropfte auf den Boden. McCoy nahm eine Serviette und drückte sie auf die Schnittwunden. „Es tut mir Leid, ich wollte keine Erinnerungen an Q’onoS wecken! Lass uns auf die Krankenstation gehen.“ Aber die junge Frau reagierte nicht. „Es war kalt in den Mienen und feucht. Uns knurrten die Mägen. Drei Männer mussten wir begraben, in einem lausigen Erdloch. Chuck, Gary und Han’kol. Es gab keinen Grabstein, nicht mal eine Trauerrede. Wir haben sie verscharren müssen, wie irgendwelche Tiere. Die Suppe abends war lauwarm und irgendjemand fing plötzlich an, ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ zu singen. Es war so irreal, so aberwitzig. Alle sangen, und keiner wusste, ob er je wieder nach Hause kommen würde, ob er irgendwann noch ein Weihnachten feiern würde.“
McCoy schloss die Augen. Einen Moment später fasste er Cartwright an den Schultern. „Es ist vorbei! Denk nicht mehr dran.“ − „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das Arbeitslager ist immer präsent, Lennard. Ob ich schlafe oder wach bin. Die Erinnerungen sind ein Teil von mir!“ Sie blickte auf ihre Hand und lächelte leicht. „Du hast Recht, lass uns lieber in die Krankenstation gehen, sonst saue ich hier noch den ganzen Fußboden ein!“
Es war Lieutenant Cartwright ein Rätsel, wie McCoy es geschafft hatte, Spock dazu zu bewegen, ihr für die Feiertage freizugeben. Auf jeden Fall war sie jetzt mit den anderen Crewmitgliedern im Arboretum, in dem ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt war, der bis unter die Decke reichte und mit bunten Kugeln, ja sogar mit Lametta geschmückt war. Die Geschenke waren längst verteilt und nun sangen alle zusammen „Leise rieselt der Schnee“. Plötzlich glaubte Kirk seinen Augen nicht zu trauen. Etwas Weißes rieselte von der Decke − Schnee. Scotty hatte mal wieder eines seiner berühmten Wunder vollbracht.
„Ich glaube, ich habe etwas vergessen.“ Spock trat an Cartwright heran und reichte ihr ein kleines Päckchen. „Danke!“ Mary packte es vorsichtig aus. McCoy trat neben die junge Frau und blickte ihr über die Schulter. Zum Vorschein kam eine Porzellanfigur, die Kirk als einen Schutzengel identifizierte. Der Arzt warf Spock einen fragenden Blick zu und der Vulkanier nickte leicht. Cartwright sah auf den Engel in ihren Händen und dann zu einem Zweig der Tanne, auf dem der Schnee glitzerte. McCoy legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„An was denkst du?“
„An all die Freunde, die ich auf Q’onoS zurückgelassen habe. Sie alle hätten einen Schutzengel brauchen können. Ich bin heute hier, und sie nicht.“
„Dafür solltest du dankbar sein!“
„Das bin ich auch, Len. Das bin ich.“
Melanie Brosowski
Der berührte Himmel
Diese Geschichte gewann den 1. Platz beim Kurzgeschichtenwettbewerb der sternenflotte e.V.
Ein leichter Wind kam auf. Die Kühle der Nacht kroch durch seine Kleidung und er wusste, in spätestens einer halben Stunde würde er vor Kälte zittern. Doch statt wieder rein zu gehen, in die behagliche Wärme seines Quartiers, streckte er die Hand gen Himmel aus. Fast hatte er das Gefühl, einen der besonders hell leuchtenden Sterne dort oben berühren zu können. Aber es war nur eine Illusion.
„Die Welt ist hohl und ich habe den Himmel berührt!“ Immer wieder ging ihm dieser Satz durch den Kopf; jeden Abend, wenn er hier stand – wenn ihn irgendetwas hier herauszog, in die Dunkelheit. All diese Sterne waren fern – und doch so nah. Er fühlte sich ihnen verbunden, als würde er sie kennen. Ob dort, unendlich viele Lichtjahre entfernt, ebenfalls Leben existierte? McCoy wusste es nicht. Er kräuselte die Stirn, dann huschte ein Schatten von Trauer über sein Gesicht und er ließ kraftlos seine Hand wieder sinken. Für einen Augenblick glaubte er sich daran zu erinnern, wie er zusammen mit seinen Freunden auf einem Raumschiff durch die Galaxie gereist und fremde Planeten besucht hatte … Aber das war unmöglich, nur das Echo eines unwirklichen Traums.
Seine Hand fuhr zu seinem Kopf, zu der Stelle, an der das Kontrollgerät eingepflanzt war.
„Willst du nicht hereinkommen?“ Natiras Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Liebevoll glitt ihre Hand über seine linke Wange. Ihre einst langen, dunkelbraunen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen und dennoch hatte sie in den vergangenen Jahrzehnten nichts von ihrer Schönheit verloren.
In ihre Augen trat ein seltsamer Glanz. Das Orakel hatte dafür gesorgt, dass McCoy sein früheres Leben vergessen hatte – ein geringer Preis für die Heilung seiner eigentlich tödlichen Krankheit und das Privileg, für immer an ihrer Seite auf Yonada bleiben zu dürfen, als Ehemann der Hohepriesterin.
Er war glücklich hier, auf diesem Planeten, der in Wirklichkeit ein Generationenschiff der Fabrini war. Und dennoch, irgendetwas schien ihm zu fehlen. Es war ein unbestimmtes Gefühl, das aber, je älter er wurde, von Tag zu Tag präsenter zu werden schien.
Mit der Rechten hob er zärtlich Natiras Kinn, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte; dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie …
Mit einem leisen Stöhnen schreckte McCoy aus dem Schlaf und schlug die Augen auf. Er fuhr sich fahrig mit der Hand über die Stirn und warf einen Blick auf das Chronometer. 3:12 Uhr Bordzeit. Zum Aufstehen also noch viel zu früh. Seufzend drehte er sich auf die Seite, doch der Schlaf wollte nicht zurückkommen.
„Verdammt!“ Seit Wochen schon hatte er keine Nacht mehr durchgeschlafen. Wirre Träume hatten ihn heimgesucht, nur an die wenigsten hatte er sich allerdings beim Aufwachen erinnern können.
Schließlich stand er auf und war eine halbe Stunde später bereits auf der Krankenstation. Eine Weile beschäftigte er sich mit liegengebliebenen Dingen. Dann aktualisierte er einige Krankenakten und begann letztendlich damit, das Regal mit den Medikamenten aufzuräumen.
„Das haben Sie bereits gestern getan!“ Christine Chapel stand plötzlich hinter ihm. „Und vorgestern ebenfalls.“
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht! Und wenn Sie hier mehr Ordnung halten würden, könnte ich meine Zeit mit wichtigeren Dingen verbringen!“ Noch ehe er das letzte Wort ausgesprochen hatte, wusste er, dass er völlig überreagiert hatte. „Es tut mir leid, Christine, ich …“
Doch die Schwester sah ihn nur an und schüttelte den Kopf. Dann legte sie wortlos einen Datenträger auf seinen Schreibtisch und verließ wieder die Station.
Das Licht war gedämpft und ein leichter Geruch nach Desinfektionsmittel lag im Raum. Oder bildete er ihn sich ein? Er wusste es nicht. Ohnehin gab es nur noch wenige Tage, an denen sein Denken klar war. Vielleicht war das ein Segen, vielleicht wurde das Sterben dadurch leichter.
Vorsichtig drehte er den Kopf zum Fenster, jede Bewegung fiel ihm schwer und verursachte fast unerträgliche Schmerzen, die er nur noch mit hohen Medikamentendosen aushalten konnte.
Am Morgen war Jim da gewesen. Jim, sein alter Freund, und immer noch Captain der Enterprise. Morgen früh würde die Enterprise zu einer neuen Fünf-Jahres-Mission aufbrechen, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen …
Es war Frühling – sein letzter. Vor mehr als zehn Monaten hatte er selber bei sich die Diagnose Xenopolycytemia gestellt. Sein Todesurteil. Natürlich hatte er sofort den Captain darüber informiert. Jim hatte daraufhin das Oberste Kommando davon unterrichtet und um seine Ablösung ersucht. Sie hatten ihre Mission abgebrochen und waren mit der Enterprise zur nächsten Raumstation geflogen. Kurz darauf war die Krankheit bei ihm voll ausgebrochen.
Er holte tief Luft, doch jeder Atemzug war eine Qual. Plötzlich fuhr ein so starker Schmerz durch seine Brust, dass er aufstöhne. Seine Hände verkrampften sich …
Mit einem entsetzten Schrei fuhr McCoy aus dem Bett. Schweiß stand auf seiner Stirn, er war vollkommen durchgeschwitzt und hatte furchtbaren Durst.
Als er unter der Dusche stand fragte er sich zum wiederholten Male, was diese Träume zu bedeuten hatten. Aber auch während er sich anzog und anschließend Richtung Offiziersmesse ging, fand er keine Antwort.
„Vielleicht sollten Sie über Urlaub nachdenken!“ Chapel waren die tiefen Schatten unter seinen Augen nicht entgangen. Sie machte sich Sorgen – und sie sprach es aus.
Unwirsch tat der Arzt ihre Besorgnis mit einer Geste ab. Aber an diesem Tag ließ sich Christine nicht so einfach von ihm abwimmeln, auch wenn er sich mal wieder hinter seinem Schreibtisch verschanzt hatte und so tat, als würde er in Arbeit untergehen. „Ich möchte, dass Sie sich ein paar Tage frei nehmen, Doktor.“ Ihrer Stimme war noch immer ihre Fürsorge anzumerken – doch nunmehr klang auch eine gewisse Schärfe darin, die McCoy so bei ihr noch nie gehört hatte, nicht einmal im Umgang mit widerspenstigen Patienten. „Oder ich werde mit Captain Kirk reden!“
„Worüber?“ Zorn funkelte in seinen Augen.
„Über die Fehler, die Ihnen seit einigen Tagen passieren!“
Er wurde um eine Spur blasser, hatte er doch gehofft, dass sie ihr nicht aufgefallen waren. Zugegeben, es waren Kleinigkeiten gewesen, eine verschüttete Säure, ein verlegtes Instrument … Doch was war, wenn ihm bei einem Patienten ein Fehler unterlief?
„Was ist los, Doktor?“
„Nichts!“ Er schüttelte den Kopf.
„Ich …“
„Es reicht jetzt, Schwester! Ich verbitte es mir, dass Sie sich in meine Angelegenheiten mischen!“
„Es tut mir leid, Leonard, ich wollte dir nur helfen!“ Sie wandte den Blick ab und ging.
Hatte er sich gerade verhört oder hatte sie ihn bei seinem Vornamen genannt?
Kaum dass sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten, begannen sich fürchterliche Kopfschmerzen auszubreiten. Aus einer Schublade kramte er einige Tabletten hervor und spülte sie mit einem ordentlichen Schluck Bourbon herunter. Er hatte sie nicht anschreien wollen – tatsächlich war ihm viel mehr danach gewesen, sich alles von der Seele zu reden.
„Ach, verdammt!“ Erneut setzte er die Flasche an und es dauerte nicht lange, bis er sie geleert hatte. Wie durch einen Nebel kam ihm zu Bewusstsein, dass er so nicht arbeiten konnte. Mit einem Röhrchen Tabletten in der Hand verließ er die Krankenstation. Er brauchte unbedingt ein paar Stunden Schlaf und Chapel würde ihn schon wecken, wenn es einen Notfall gab.
Nancy Crater. Er wusste noch, wie er sie zum ersten Mal getroffen hatte, auf der Sternenflottenakademie.
Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu berühren und nichts hätte er lieber getan, als sie in seine Arme zu schließen.
„Nancy!“ Kirks Stimme, herausfordernd, provozierend. „Komm und hol dir das Salz!“
McCoy stand zwischen ihnen, zwischen seinem Captain und seiner Liebe.
Er hatte Kirk angeschrien, ihn darum gebeten aufzuhören. Und Nancy, Nancy hatte sich hinter ihm versteckt, schutzsuchend, ängstlich.
Dann war es zu einem Handgemenge gekommen; jetzt lag Jim zu seinen Füßen und rührte sich nicht mehr.
Der Schiffsarzt kniete sich nieder und tastete nach einem Puls. Doch Crater, oder besser das Wesen, das ihre Form angenommen hatte, hatte seinem Körper sämtliches Salz entzogen und ihn somit getötet.
Langsam stand er wieder auf. Genau in diesem Moment öffneten sich die Türen und Spock, den Kirk davor postiert hatte, kam herein. Er erfasste die Situation mit einem Blick und griff nach seinem auf töten gestellten Phaser. McCoy überlegte nicht lange. Dieses Wesen war nicht Nancy Crater, aber es hatte dennoch ein Recht zu leben, auch wenn es den Captain dieses Schiffes umgebracht hatte.
„Nein!“
Die Energieladung prallte gegen seine Brust und löste eine Welle des Schmerzes aus …
Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Schwester Chapel die Krankenstation verließ. Mehrmals hatte Kirk nach McCoy verlangt und jedes Mal hatte sie ihn verleugnet.
Sie wusste nicht, was mit ihm los war – aber so ging es nicht weiter. Zum Captain zu gehen war nur eine Drohung gewesen, ein letzter Versuch, ihn aus der Reserve zu locken.
Chapel war so in Gedanken versunken, dass sie erst realisierte wo sie war, als sie vor McCoys Quartier stand. Was sie hier wollte, war ihr genauso rätselhaft, wie der Weg, der sie hierher geführt hatte.
Schließlich betätigte sie den Türsummer. Doch in dem Quartier blieb es still. Gerade als sie wieder gehen wollte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Schließlich öffnete sie die Tür manuell.
Der Geruch nach Schweiß und Alkohol und noch etwas anderem lag in der Luft. „Doktor McCoy?“ Keine Antwort. Sie schaltete das Licht ein – und erstarrte mitten in der Drehung.
McCoy lag auf dem Boden in einer Lache von Erbrochenem, neben ihm ein leeres Medikamentenröhrchen und eine umgekippte Flasche Bourbon.
„Oh mein Gott!“
Als McCoy dieses Mal aufwachte brauchte er eine ganze Weile, um zu begreifen wo er sich befand. Er konnte sich daran erinnern, mit wahnsinnigen Kopfschmerzen in sein Bett gegangen zu sein – aber nicht, sich auf eine der Behandlungsliegen hingelegt zu haben. Nichtsdestotrotz befand er sich jetzt auf einer solchen, dazu noch mit einem ekelhaftem Geschmack im Mund und einem dröhnenden Schädel.
„Wie fühlen Sie sich?“ Eine kühle Hand legte sich auf seine Stirn und für einen kurzen Moment schloss er die Augen – dann wurde ihm schlagartig wieder bewusst, dass er eigentlich hier der Bordarzt war. Er versuchte sich aufzusetzen, doch eine Welle der Übelkeit überkam ihn, so dass er sich wieder zurücklegte und erst einmal schluckte.
„Hier!“ Chapel reichte ihm ein Glas und half ihm beim Trinken.
„Danke!“ Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er hatte einige Schlaftabletten genommen. Zusammen mit dem Alkohol und seines derzeitigen Gesundheitszustandes … Nun, er konnte sich vorstellen, was passiert war.
„Wie bin ich hierher gekommen?“
Sie stellte das Glas zur Seite und warf einen kritischen Blick auf die Anzeigen des Überwachungsgerätes. Wäre sie auch nur wenige Minuten später gekommen, wäre er vermutlich erstickt.
„Ich werde Ihnen ein paar frische Sachen holen!“
„Christine!“ Gröber als beabsichtigt packte er ihr Handgelenk. „Warum weichen Sie meiner Frage aus?“
„Spock hat Sie gefunden und hergebracht!“
„Spock?“ Ungläubig starrte er sie an. Spock hatte ihn noch nie in seinem Quartier besucht. „Das glaube ich Ihnen nicht.“
„Also gut! Ich habe Sie gefunden. Und dann habe ich Spock gerufen, ich hätte Sie ja schließlich kaum allein herschaffen können!“
„Und warum haben Sie nicht dem Captain Bescheid gesagt?“
„Ich glaube, Captain Kirk hat Wichtigeres zu tun, als sich die Jammerei seines betrunkenen Schiffsarztes anzuhören!“
Als sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten, drehte sie sich um und rannte hinaus, wobei sie fast mit dem Ersten Offizier zusammengestoßen wäre. Verwirrt starrte er ihr hinterher.
„Ich hoffe, es geht Ihnen besser!“ Der Vulkanier legte die Hände auf den Rücken und zog die rechte Augenbraue hoch.
McCoy setzte sich auf. „Oh, ja, vielen Dank!“
„Schwester Chapel sagte mir, dass Sie sich bereits seit dem Morgen unwohl gefühlt hätten. Ich hoffe, dass wir es nicht wieder mit einer Tarkaleanische Grippe zu tun haben! Das letzte Mal waren Sie ebenfalls der Erste, der sich damit infizierte und zusammenbrach. Wie Sie wissen, sind Vulkanier immun gegen diese Krankheit und ich empfinde es nicht als erstrebenswert, erneut das einzig gesunde Besatzungsmitglied auf diesem Schiff zu sein!“
Überrascht schüttelte McCoy den Kopf. Offensichtlich wusste Spock also nicht, was passiert war. Wie auch immer Christine das angestellt haben mochte …
Edith Keeler.
Sie hatte ihm das Leben gerettet, als er sich versehentlich eine hohe Dosis Cordrazin gespritzt und unter Wahnvorstellungen leidend durch den „Wächter der Ewigkeit“ in die Vergangenheit geraten war.
Edith.
Ihre kühlen Hände auf seiner fiebrigen Stirn …
McCoy stand am Fenster seines Zimmers in ihrer Straßenmission und starrte hinaus in die Nacht, hinunter auf die Straße.
Vor wenigen Minuten war sie gegangen, sie wollte sich zusammen mit einem Freund einen Clark Gable Film ansehen.
Plötzlich traute McCoy seinen Augen nicht. War das nicht Kirk, der da unten Hand in Hand mit ihr ging?
Hastig stellte er die Tasse auf den Tisch und rannte die Treppe herunter.
Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Spock und Kirk kamen auf ihn zu.
Edith wollte die Straße überqueren, als sich ein Lastwagen näherte.
„Nein!“
McCoy riss sie zur Seite und einen Augenblick später spürte er einen dumpfen Schmerz. Durch die Wucht des Aufpralls wurde er zurück auf den Gehweg geschleuderte, wo er, stark aus einer Wunde am Kopf blutend, liegen blieb.
„Oh, mein Gott, Pille, was hast du getan?“, flüsterte Kirk fassungslos und kniete sich neben ihm nieder.
„Ihr das Leben gerettet!“, wollte er antworten, doch die Schmerzen waren so groß, dass nur ein Stöhnen über seine Lippen kam.
Der Captain sah seinen Ersten Offizier mit einem besorgten Blick an.
Der Vulkanier seufzte. „Jetzt wird Edith Keeler durch die Gründung ihrer Friedensmission den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg verhindern. Deutschland wird den Krieg gewinnen und es wird niemals eine Föderation geben. Die Zukunft, unsere Gegenwart, unsere Realität, wird niemals existieren …“
Spocks Stimme wurde immer leiser, bis sie schließlich gänzlich verstummte. Alles verschwamm vor McCoy Augen, tauchte ein in einen undurchdringlichen Nebel …
Als Christine Chapel zurückkam brachte sie ihm etwas zu essen mit.
„Es tut mir leid!“ Seine Worte ließen sie mitten in der Bewegung verharren.
Einen Moment schien es, als würde sie etwas erwidern wollen. Doch letztendlich deutete sie nur auf das Tablett. „Sie müssen wieder zu Kräften kommen, Doktor. Ihre Patienten brauchen Sie!“
„Und was ist mit Ihnen?“ Die Frage kam über seine Lippen, ehe er darüber nachdenken konnte. „Christine, ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie getan haben!“ Er stand auf und fasste sie an den Schultern. Es war das erste Mal, dass er ihr so nahe war. Er begann ihr von seinen Träumen zu erzählen und auf einmal wusste er wieder, wann sie begonnen hatten: nach ihrem Aufenthalt auf Exo III. Dort hatte Christine ihren verschollenen Verlobten Dr. Roger Korby gefunden – oder besser gesagt dessen Dublikat. Der wahre Korby war längst tot. McCoy hatte Chapel daraufhin angeboten, sie für einige Zeit vom Dienst zu befreien, doch sie hatte abgelehnt. Aus dem Verhältnis zwischen Arzt und Schwester war danach eine Freundschaft entstanden aber McCoy hatte nicht gewagt weiterzugehen. Was würde geschehen, wenn sie seine Gefühle nicht erwiderte? Falls doch, konnte es gut gehen, Tag und Nacht miteinander zu verbringen, sowohl den Arbeitsplatz als auch das Quartier miteinander zu teilen?
Plötzlich überkam ihm die Erkenntnis wie eine Flutwelle. „Du hast all die Jahre kein Wort gesagt!“, brachte er schließlich hervor.
„Nein. Wie konnte ich auch? Ich habe immer geglaubt, dass Roger noch lebt. Und mit ihm war ich verlobt!“
„Ich …“ Verlegen starrte McCoy auf seine Stiefelspitzen. „Ich …“ Zärtlich strich er ihr über die Wange. Es fühlte sich richtig an.
„Weißt du, was Spock einmal gesagt hat? Man hat immer eine Wahl. Auch wenn es nur die Alternative ist, etwas zu tun oder nicht.“ Mittlerweile stand sie dicht vor ihm. „Es bringt nichts, sich über ein was wäre wenn Gedanken zu machen. Wichtig ist nur der Schritt, den du gehst.“ Sie lächelte.
„Ja!“ Er beugte sich herab und küsste sie – und er war sich ziemlich sicher, dass die Träume nicht wiederkehren würden.
Melanie Brosowski